Die Methode “4-Seiten-Modell”
Oft sagen wir etwas frei heraus und meinen es aber nicht so, wie das Gegenüber es versteht. In diesem Fall sind wir dem 4-Seiten-Modell von Schulz v. Thun aufgesessen. Dieses sorgt für die meisten Missverständnisse in der Kommunikation.
1 Satz und 1000 Worte
In jedem Satz lassen sich vier Botschaften erkennen. Er ist also mehr als das vorerst Gemeinte. Fragen wir: “Was ist das Grüne in der Soße?”, kann diese Frage mehrere Bedeutungen implizieren. Je nachdem, an wen und in welchem Kontext oder Setting er geäußert wird.
Folgende Szene: Mittagstisch — Ehepaar, seit 25 Jahren verheiratet — die Frau richtet das Essen an — der Mann schaut auf den Teller mit dem Essen darauf und fragt, etwas missmutig: “Was ist das Grüne in der Soße?”
4 mögliche primäre Antworten
“Was ist das Grüne in der Soße?” = emotionsbefreite Feststellung des Sachverhaltes “Da ist etwas Grünes in der Soße”. Nicht mehr und nicht weniger.
“Was ist das Grüne in der Soße?” = Selbstoffenbarung, in der die persönliche Meinung des Mannes versteckt liegt, dass ihm das Essen mit dem Grünen darin nicht schmeckt. Er sagt hier mehr etwas über sich selbst, als über das Grüne in der Soße. Dieses ist nur Anlass für eine solche Unmutsäußerung.
“Was ist das Grüne in der Soße?” = Beziehung, der Mann definiert die Qualität seiner Beziehung zu seiner Frau, was ihre Kochkünste anbelangt und meint “Du bist eine miserable Köchin, weil immer dieses Grüne darin herumschwimmt!” Dieses Grüne könnte jetzt Anlass sein, einen Ehestreit vom Zaun zu brechen.
“Was ist das Grüne in der Soße?” = Appell, der Mann fordert seine Frau auf, beim nächsten Mal das Grüne wegzulassen.
So kompliziert?
Jetzt werden Sie feststellen, dass diese vier möglichen Botschaften, die in der Frage “Was ist das Grüne in der Soße?” versteckt liegen, auch vom Tonfall abhängen, in dem dieser gesagt wird. Dem stimme ich vollends zu. Aber macht sprichwörtlich nicht der Ton die Musik?
Genau diese Musik beschreibt der Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz v. Thun mit dem 4-Seiten-Modell. Zeichnet es doch für die Missverständnisse der täglichen Kommunikation mit unseren Mitmenschen verantwortlich. Denn auch unsere persönliche Befindlichkeit und Stimmungslage ist ausschlaggebend dafür, mit welchem “Ohr”, mit welcher Seite wir gerade verstärkt zuhören.
Auf unser Beispiel bezogen, kann dies folgenden Kontext bedeuten: Die Frau stellt schon seit längerer Zeit die Qualität ihrer Ehe infrage, obwohl sie sich als Köchin so sehr um ihren Mann bemüht. Sagt der Mann dann etwas, interpretiert sie seine Fragen und Aussagen vornehmlich auf der Beziehungsebene und setzt sie in Bezug zur Qualität ihrer Ehe sowie ihrer Kochkünste. Sie stellt fest, dass sie laufend kritisiert wird und interpretiert sich in einen Kreislauf aus Selbstzweifel und Opferdasein hinein. Sie wird in unserem Fall immer nur verstehen, sie sei eine miserable Köchin, und das sei wohl Schuld an ihrer ehelichen Situation. Egal, ob etwas Grünes in der Soße schwimmt oder nicht.
Dabei könnte die Frau jederzeit ihr Beziehungsohr ausblenden und die Frage “Was ist das Grüne in der Soße?” ausschließlich auf der Sachebene verstehen. Dann käme von ihr eine sachlich, freundliche Antwort: “Petersilie ist das Grüne in der Soße.” Es käme zu keinem Streit, sondern nur zu einer freundlichen, sachlichen Antwort. Und diese Wahl, auf welcher Ebene wir etwas Gesagtes verstehen, haben wir immer selbst in der Hand. Wir entscheiden, auf welcher Ebene wir uns triggern lassen, vorausgesetzt wir fühlen uns stressfrei und sind mit uns selbst im Reinen.
Projektbesprechungen sind Sachebene
Nach diesem Modell steuern Sie die berufliche Kommunikation. Das schützt vor Missverständnissen und Mehrdeutigkeiten. Und es erleichtert beispielsweise das Briefing im Rahmen von Projektbesprechungen.
Gerade hierbei kommt es vielfach zu Missverständnissen. Allein wenn es um den Content geht, hängt es vom Gegenüber, was unter Content verstandnen wird. SEO-Spezialisten meinen damit Keyword-Content und Content für Suchmaschinen. Darüber hinaus liegende Content-Arten entziehen sich weitestgehend ihrem Blickfeld. Webdesigner werden darunter den Content und die Menüführung der Webseite verstehen. Und Socialmedia-Manager nehmen das Wort “Content” dann in den Mund, wenn es um die Inhalte der Postings auf sozialen Medien geht.
Sie sehen, viele Sichtweisen, viele unterschiedliche Zugänge nur zu einem einzigen Fachbegriff. Kommt dann noch die persönliche Komponente hinzu, wenn man mit einem klassischen Marketingmenschen über Content spricht, der durch die Digitalisierung seinen Job in Gefahr sieht, dann kann jeder Satz, der mit “Content” beginnt, bei diesem eine Bedrohung auslösen. In solch einer Situation hört man nicht mehr auf der Sachebene zu, sondern vermehrt auf der Beziehungs- und Selbstoffenbarungsebene. Und reagiert beleidigt, und versteht vielleicht: “Sie haben von Content keine Ahnung” oder “Wir brauchen Ihre Kommentare nicht, weil sie dafür nicht kompetent genug erscheinen”.
Die Praxis lehrt, gerade die werblichen Marketeers fühlen sich von den oft sehr sachlich, nüchternen Methoden des Online- und Content-Marketings (Content Strategie, Zielgruppenpersonas, Customer Journey, Customer Touchpoint Management, Datenanalyse, Reporting digitaler Marketing-Kennzahlen) persönlich allzuleicht angegriffen und fürchten um ihre Position. Zeigen dann Zähne und stellen Anforderungen im Briefing wie die folgenden:
Klar wissen wir, was wir wollen, aber Sie können uns ja bestimmt Vorschläge machen, wo wir noch besser werden können.
Ihr Designvorschlag gefällt uns nicht. Er ist uns zuwenig emotional.
Sicherlich kennen wir unsere Zielgruppe. Wir wollen aber, dass Sie uns Vorschläge machen.
Wir sprechen alle an, denn wir haben ja allen etwas zu bieten. Die Webseite muss alle, auch zukünftige Kunden ansprechen. Machen Sie uns Vorschläge, welche das sein könnten.
Nachfragen und auf die Sachebene fokussieren
Fragen Sie also immer nach, klären Sie die Inhalte von Gesprächen anhand der 4 Ebenen ab und finden Sie so leichter zu einem Konsens.
Gerade wenn ausweichende Antworten auf Fragen kommen, sollten Sie versuchen, diese auf die Sachebene zu heben und eine solche im Fokus zu behalten. Das mag anderen gegenüber nüchtern erscheinen, vermeidet aber Komplikationen bei Fachgesprächen. Die möglichen emotionalen (Beziehungsebene, Selbstoffenbarung) Motive Ihrer Gesprächspartner sollten Sie zu einem späteren Zeitpunkt zum Gegenstand klärender, Konflikt bereinigender Gespräche machen.